Der Mond war mir, der Spriessbürgerin, viele Jahre heilig. Nie ging ich in den Garten ohne vorher den Mondkalender zu konsultieren. Egal ob es «hudelte» oder schneite, noch hell oder bereits dunkel war, wenn der Zeitpunkt für dieses oder jenes Gemüse gekommen war, wurde gesät. Daran hielt ich eisern fest, bis zu dem Tag, an dem ich ein Telefongespräch mit meiner Schwester abklemmen wollte, weil Wurzeltag war und ich Rüebli säen sollte. Meine Schwester fand das eine billige Ausrede, schliesslich sei heute Blütentag! Ich hatte natürlich recht. Aber meine Schwester auch. Auf ihrem Mondkalender war der Tag ein Blütentag, auf meinem ein Wurzeltag. Das merkten wir allerdings erst als wir uns gegenseitig unsere Mondkalender unter die Nase hielten.

Bis dahin hatten wir tatsächlich geglaubt, dass es nicht nur einen einzigen Mond, sondern auch nur einen Mondkalender geben kann. Weit gefehlt! Im Internet fanden wir so­gar noch einen weiteren mond­gestützten Aussaatkalender. An einem Tag, an dem laut meinem Kalender der Mond in der «Jungfrau» stand, und man bis 19.30 Uhr Wurzelgemüse hätte säen sollen, stand der Mond beim Kalender meiner Schwester in der «Waage». Bei ihr wär’s ein Blütentag gewesen, der als ideal für das Pflanzen, Setzen und Säen von oberirdisch wachsendem Gemüse gepriesen wurde. Beim Gratismondkalender aus dem Internet war der gleiche Tag dem Sternbild Skorpion gewidmet, er empfahl ab 3.47 Uhr die Saat von Blattgemüse.

Drei Kalender, drei Aussaattipps. Zuerst waren wir fassungslos, dann erleichtert. Endlich hatten wir einen Schuldigen! Die verkrüppelten Randen, die geschmacklosen Kürbisse, der Mini-«Röslichöl»: An all dem war sicher der falsche Mondkalender schuld! Doch dann kamen Zweifel auf. Wir fragten uns, welcher Kalender denn nun der Richtige sei. In der «Google»-Welt fanden wir keine Antwort. Das Thema wurde nicht einmal thematisiert. So entschieden wir wahlweise den einen oder anderen Mondkalender zu konsultieren, gerade so, wie es uns passte. Das war praktisch, aber irgendwann liessen wir auch das sein. Seither säen und ernten wir, wenn die Witterungs- und Bodenbedingungen ideal sind. Und siehe da: Das Gemüse wächst besser als je zuvor.